Reflexion 3Digitaler Selbstverlag

Texte zu verfassen ist eine beliebte Aufgabe. Wir alle können es, mehr oder weniger. Wer damit allerdings seinen Lebensunterhalt verdienen möchte, begibt sich auf einen gefüllten Markt. Wer einen der diversen Journalismus-, Kultur- oder Medienstudiengänge absolviert hat, darf um Praktikumsplätze, Volontariate und ein paar wertvolle bezahlte Zeilen kämpfen. Jobs sind knapp und die gedruckten Seiten sind begrenzt. Online ist hingegen viel Platz. In Sekunden lässt sich mehr Text laden, als man jemals lesen könnte.

Unzählige Formate und Dienste sind textbasiert. Und rein technisch gesehen haben alle Autoren den gleichen Ausgangspunkt: http://schönschrift.org und http://spiegel.de sind beides URLs (Uniform Resource Locator) – einheitliche Quellenanzeiger. Schon im Begriff steckt eine technische Gleichberechtigung aller URLs. Druckauflage oder Distribution sind kein Thema.

Aber wirklich einfach wird es nie: Die Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie gelten mit aller Macht weiter. Schönschrift ist eine Textquelle unter Millionen. Und Gestaltung, Marketing, Lizenzen haben im Digitalen genau die gleiche Relevanz.

Wir haben uns bewusst dafür entschieden, Schönschrift im Format Blog unter einer eigenen Domain zu betreiben. Wir wollen die Aufmerksamkeit, die den Beiträgen gewidmet wird, nicht einer großen werbefinanzierten Plattform schenken. Wir wollen nicht, dass unsere Besucher nach unbekannten Datenschutzregeln auf Servern in den USA analysiert werden. Wir wollen nicht, dass unsere Artikel irgendwelchen allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Blogplattform gehorchen müssen. Und nicht zuletzt wollen wir die Gestaltung der Seite bis ins letzte Detail in der Hand haben.

Echte Unkosten sind kein großes Thema

Diese Unabhängigkeit kostet wenig. Ein klassisches Webhostingpaket und zwei Domains (zusätzlich zu schönschrift.org noch schoenschrift.org für weniger umlautbegabte Browser) schlagen jährlich mit 50 bis 60 Euro zu Buche. Das ist zu verschmerzen und dank der ersten und einzigen Einnahme, dem Preisgeld vom Freischwimmer-Blogbattle ohne Probleme gedeckt. Auf der Softwareseite entstehen dank dem vielseitigen WordPress-Paket, das als FOSS kostenlos ist, keine Kosten. Und die Bildredaktion kommt mit dem ebenfalls freien GIMP auch längst ohne Photoshop-Lizenz aus.

Viel schwieriger wird die Frage nach dem personellen Aufwand. Wie viel technisches Wissen und wie viel Verwaltungsaufwand sind die Bedingung dafür, auf einer unabhängigen Plattform „einfach nur schreiben“ zu können? Im schoenschrift-Theme, dem gestalterischen Gewand des Blogs, stecken viele Stunden Arbeit – und als Vorbedingung Wissen und Erfahrung in Sachen Webentwicklung. Wer sich nicht mit einem vorgefertigten Blogdesign zufriedengeben möchte, muss sich zumindest ansatzweise mit Templates, Style Sheets und dergleichen auseinandersetzen. Um das eigene Schreiben zu ermöglichen bedarf es also zunächst auch einer Portion digitaler Professionalität.

Müssen und dürfen

Ein paar juristische Rechte und Pflichten bringt die kleine Publikation auch noch mit sich. Neben einem korrekten Impressum steht dabei die Lizenzierung der eigenen und fremden Inhalte im Mittelpunkt. Weil wir uns einig sind, dass kreative, unabhängige Medienproduktion sich gegenseitig referenzieren kann und soll, veröffentlichen wir unsere Texte und eigene Fotos unter einer Creative Commons Attribution-Share-Alike-Lizenz. Diese Variante aus dem weltweit anerkannten Lizenzbaukasten erlaubt es Anderen, unsere Inhalte auch jenseits des Zitatrechtes ganz oder teilweise weiterzuverwenden – solange die Quelle verlinkt wird und das Endprodukt ebenfalls unter einer solchen Lizenz veröffentlicht wird. Wenn unsere Texte dadurch mehr Leser finden, ist das genau in unserem Sinne.

Sich im Bereich der Creative Commons-Lizenzen zu bewegen bringt einen großen Vorteil mit sich: Wir können uns selbst ebenfalls bei all jenen Arbeiten „bedienen“, die unter einer passenden Lizenz veröffentlicht wurden. Ein Symbolbild von Köln, mangels Pressebildern vom Tatort? Die Suchfunktion der Fotoplattform Flickr.com hilft weiter. Das Ergebnis: Wir haben einen ansprechend bebilderten Artikel, der Fotograf einen Bildnachweis samt Link.

Das Thema Lizenzen birgt allerdings Detailfragen: Viele Menschen schließen mit dem Creative Commons-Zusatz „NC“ (non-commercial) eine kommerzielle Verwendung ihrer Inhalte aus. Ist Schönschrift kommerziell? Dürfen wir jene Inhalte nicht verwenden? Das deutsche Recht ist bei der Definition schwammig. Klauseln wie „in der Regel gegen Entgelt“ sind schwer anzuwenden. Sind Filmkritiken normalerweise nur gegen Entgelt zu haben? Sobald ein Blog in irgend einer Form Werbung schaltet (und sei es nur, um die oben skizzierten 60 Euro jährliche Serverkosten wieder einzuspielen), ist es kommerziell. Und diese Möglichkeit wollen wir uns offenhalten. „NC“-linzenziertes Material ist also Tabu.

Eine weitere Detailfrage ist die Bearbeitung von Inhalten. Der Creative Commons-Lizenzbaustein „ND“ (no derivatives) erlaubt nur eine unbearbeitete Verwendung. Die Schönschrift-Artikelbilder haben alle ein Cinemascope-Format, mit dem Seitenverhältnis 2,35:1. Eigene Fotos oder zur Verfügung gestellte Pressebilder können ohne Probleme auf dieses Format zugeschnitten werden. Aber: Die Formatänderung ist eine Bearbeitung und kommt somit für „ND“-Bilder nicht in Frage. Diese dürfen wir nur im Originalformat übernehmen.

Die Teilhabe am Creative Commons-Universum muss also wohl durchdacht sein, bringt dann aber den großen Vorteil mit sich, dass juristisch belastbar festgelegt ist, wer welche Inhalte wie nutzen darf.

Und wie hoch ist die Auflage? Und liest das auch jemand?

Bisher beschränkt sich das Marketingkonzept von Schönschrift darauf, von rezensierten Projekten in den Pressespiegel aufgenommen zu werden, bei thematisch passenden anderen Blogs Kommentare und ergänzende Links zu platzieren, sowie bei identi.ca und Twitter per Microblogging auf neue Beiträge aufmerksam zu machen.

Aber Texte wollen gelesen werden. Und natürlich interessiert uns, welche Themen besonders gut ankommen, wie die Navigation auf der Seite genutzt wird und welche Seiten auf uns verlinken. Diese Neugier soll aber nicht in Datenschutzprobleme ausarten, die Nutzung eines externen Dienstes wie etwa GoogleAnalytics kommt daher nicht in Frage. Statt dessen nutzen wir das freie Tool Piwik, das direkt auf dem Schönschrift-Server läuft. So haben wir einen Einblick in die Nutzung der Seite, ohne Datenberge anzuhäufen oder individuelle IP-Adressen zu speichern.

Diagramm monatlicher Besucherzahlen.

Die in den etwa achteinhalb Monaten seit dem Start von 13 Autorinnen geschriebenen 78 Texte haben 9308 Seitenbesuche angelockt. Das ist für Internet-Zugriffszahlen keine große Kragenweite, aber zeigt uns doch: Die Texte werden gelesen. Vor allem die Berichterstattung rund um das Freischwimmer-Festival im März hat viele Artikel in schneller Folge und damit auch viele Zugriffe gebracht.

Weiter!

Der technische und organisatorische Aufwand, diese eigene Plattform ins Leben zu rufen, war nicht zu unterschätzen. Mit den einmal etablierten Rahmenbedingungen bietet Schönschrift nun aber genau das, was wir wollten: Eine Gelegenheit, eigene Texte mit Sorgfalt aber ohne äußere Einschränkungen veröffentlichen zu können.

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3 Antworten auf Reflexion 3 | Digitaler Selbstverlag

  1. McBoe sagt:

    Da fällt mir eine Karikatur von F.K. Waechter ein: „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“, denke ich die Zahl der Leser von Blogs (oder den Kulturseiten einer Zeitung), die eine kann man feststellen, die andere (ganz) vielleicht mit ihrer Auflagenhöhe vergleichen. Zeitschriften der reinen Lehre, solche mit nur kulturellen Inhalten, z.B. Lettre International, wären den Blog-Zugriffen vielleicht am ehesten vergleichbar. Aber: Autoren des einen bleiben Amateure (arbeiten nebenher, ohne sich davon zu finanzieren), die anderen werden Profis (können davon gut(?) leben).
    Der Unterschied: der eine verschwindet irgendwann im Cloud des Internets, die andere vielleicht im Magazin einer Bibliothek. Der Unterschied ist so vielleicht vergleichbar mit dem Redner an Hyde Parc Corner gegenüber dem Titelseitenschreiber der Times. Womit nicht abgewogen sein soll wer der „bessere“ ist.
    Das Problem: Wie macht sich Blog in einer Netzwelt so bemerkbar, dass er eine ähnliche Reputation erfährt (und monetäre Belohnung erhält) wie die Zeitschrift im Kiosk.
    Oder ist der Blog so selbstlos, dass er das gar nicht will? (Dann war auch dieser Einwurf umsonst.)

  2. Till Claassen sagt:

    Zur monetären Entlohnung von Blogs gibt es ja verschiedene Ansätze. Die einen haben mit (Micro-)Beiträgen der Leser zu tun (Flattr, Kachingle, generelle Spenden), die anderen sind irgendeine Art von Werbung.

    Beide basieren aber auf der Voraussetzung, dass eine gewisse kritische Masse an Lesern erreicht wird, damit sich die Sache auch lohnt. Wenn das Tolle an diesem Internet nun aber ist, dass wir alle zu Sendern und Produzenten werden können, ist es fraglich, ob es ein tragbarer Ansatz sein kann, dieses notwendige wenige-Sender-viele-Empfänger-Prinzip anzustreben. Aber es scheint logisch: wer davon leben will, muss sich von der Masse abheben.

    Dass Schönschrift da bisher keinen monetären Ehrgeiz hat (dieses nette Preisgeld, das wir eingesackt haben, war schon eine Überraschung), ist vielleicht schlichte Vermeidung dieser Frage. Aber wir bewegen uns ja fast alle in einem akademischen Umfeld (sprich: studieren) und da werden ja gelegentlich auch mal Dinge einfach gemacht.

    Und bei den Zeitschriften am Kiosk will ich manchmal auch lieber gar nicht wissen, wie groß der Arbeitsanteil von Volontären und Praktikanten ist.

  3. Katja Grawinkel sagt:

    Ich fürchte, man hat häufig ein zu positives Bild vom (guten) Leben der bezahlten (Kultur-) Journalisten. Klar, wer einen begehrten Redakteursplatz im Feuilleton einer großen Tages- oder Wochenzeitung ergattert hat, der kann sich über ein festes, regelmäßiges Einkommen für sein Schreiben freuen. Aber gerade bei den erwähnten Kulturmagazinen sind die Redaktionen klein bis winzig, die Armee von freien Mitarbeitern bekommt häufig gemessen an der Reputation der Medien unglaublich wenig und un- oder schlecht bezahlte Redaktionspraktikanten übernehmen täglich anfallende Aufgaben für lau.

    Es nützt natürlich nichts, diesem Problem mit einer noch größeren Freiwilligkeit und noch größerem Verzicht auf finanzielle Entlohnung entgegenzutreten und das ist auch nicht unsere Absicht. Aber, was tun? Vorerst das, was auch freie Journalisten antreibt, die ihre Texte für mehr oder weniger Geld an größere oder kleinere Blätter verkaufen: sich über jeden einzelnen Leser freuen, den das Geschriebene erreicht. Klarer Vorteil eines Blog: Man kann diese Leser nicht nur anhand von Zahlen erahnen, sondern mit Ihnen – wie hier – in Kontakt treten!